In Altenheimen des Johanneswerks entstehen Freundschaften und manchmal sogar Liebe

Liebe auf der letzten Etappe

In Alten- und Pflegeeinrichtungen des Ev. Johanneswerks enstehen Freundschaften und manchmal sogar innige Liebe. Foto: Johanneswerk/Maik-Dennis Müller

Besuchern fällt das Paar, das im Foyer des Altenheims so innig beieinander sitzt, sofort ins Auge. Tag für Tag und für alle sichtbar halten sie die Hand des anderen – er im Rollstuhl, sie mit einem Taststock in der freien Hand, weil sie erblindet ist. Gemein ist beiden dieser unbeschwerte, fast schon beseelte Gesichtsausdruck, der vor allem eines verrät: Christel S. (85) und Hermann B. (89, beide Namen sind der Redaktion bekannt) haben einander gefunden. Im Altenheim, auf ihrer letzten Lebensetappe.

Dass sich die Senioren in dieser Phase ihres Lebens noch einmal verlieben würden, damit hatte keiner der beiden gerechnet, als sie vor einigen Jahren in die Einrichtung des Ev. Johanneswerks zogen. Dabei scheinen neue Bindungen, Freundschaften und sogar Liebesgeschichten wie die von Christel und Hermann in Altenheimen gar nicht so selten zu sein.

"Wir alle haben doch das Bedürfnis nach zwischenmenschlichem Kontakt, Zuneigung und Nähe – und zwar unabhängig davon, wie alt wir sind", betont Margret Springkämper, die in Herne das Eva-von-Tiele-Winckler-Haus leitet. In ihrer Einrichtung erlebe sie es häufig, dass neue Bindungen entstehen. "Hier treffen Menschen aufeinander, die vorher aufgrund ihrer Lebenssituation weniger Kontakt zu anderen hatten oder sogar einsam waren. Bei uns wird dann wieder möglich, was vorher nicht möglich war – einfach, indem Begegnung erleichtert wird." Manch einer habe schon scherzhaft angemerkt, dass er früher hergekommen wäre, wenn er gewusst hätte, dass das Pflege- und Altenheim auch als eine Art Kontaktbörse fungiere.

Als der eine starb, war der andere untröstlich

Im Alltag reiche die Bandbreite der Möglichkeiten meist von lockeren Gesprächen beim Essen über regelmäßige Verabredungen bis hin zu sehr emotionalen Bindungen. Solch eine enge Freundschaft hat vor einigen Jahren auch zwei Männer im Eva-von-Tiele-Winckler-Haus verbunden. Sie hatten sich dort kennengelernt, der eine im Elektro-Rollstuhl, der andere im normalen. "Die beiden haben lange Gespräche geführt, sich gegenseitig motiviert und ständig etwas zusammen unternommen. Dafür hat sich der Mann ohne elektronischen Antrieb hinten an seinen Freund drangehängt", erzählt Margret Springkämper. Als dann einer der Männer nach zwei Jahren starb, habe sein Freund sehr lange um ihn getrauert.

Freundschaftlich Bande wie diese werden auch im Haller Altenzentrum Eggeblick in geknüpft. Hier treffen sich die beiden Freundinnen Kriemhild Riecke und Hanna Baumjohann tagtäglich, um Neuigkeiten auszu-tauschen, zu plauschen und ihren Tag zu planen. "Es ist so schön, hier jemanden zum Reden gefunden zu haben", betont Riecke, und ihre Freundin ergänzt, sie seien "von Anfang an auf einer Wellenlänge" gewesen.

Ähnlich kontaktfreudig geht es in der gut besuchten Cafeteria des Katharina-Luther-Hauses in Gütersloh zu. "Das ist ein beliebter Treffpunkt im Haus, weil es den Menschen wichtig ist, sich auch außerhalb ihrer vier Wände ganz unabhängig und ohne großen Aufwand verabreden zu können", erklärt Einrichtungsleiter Siegfried Wolff. Er ist seit 42 Jahren in der Pflege tätig und entsprechend erfahren. Neue Freundschaften und Liebesbeziehungen unterstützt der Hausleiter ganz bewusst, weil es etwas mit den Menschen mache und sie viel Lebensfreude dadurch gewinnen würden.

Wir haben eine Fürsorgepflicht gegenüber den Bewohnern

Trotzdem müssten Pflegefachkräfte jedes Mal sehr differenziert hinschauen. "Wir haben unseren Bewohnern gegenüber eine Fürsorgepflicht, deshalb ist die erste Frage, die wir uns stellen, immer die, ob alle Beteiligten in der Lage sind, selbst zu entscheiden, was sie wollen", sagt Wolff. Das sei zum Beispiel bei dementen Bewohnern oft schwer zu erkennen. Aber selbst, wenn sich zwei Menschen bewusst füreinander entschieden hätten, sei auch das nicht immer ganz unproblematisch. "Wir haben schon erlebt, dass Angehörige uns auffordern wollten, eine Beziehung zwischen zwei Bewohnern zu unterbinden", erzählt Wolff. Aber er könne zwei erwachsenen, mündigen Menschen nun mal nicht verbieten, einander zu mögen und sich zu treffen.

Liebe kann auch bedeuten, Raum zu geben

"Unsere Mitarbeitenden sind angehalten, Bewohnerinnen und Bewohner so viel Privatsphäre wie möglich zu erhalten", erklärt Peter-Christian König, Leiter der Stabsabteilung Altenhilfe im Johanneswerk. Nur so könne gewährleistet werden, dass sich Menschen tatsächlich zuhause fühlen. "Wir sind da in der Tat sehr feinfühlig und versuchen, alles möglich zu machen", betont Malika Ferchichi, Leiterin des Bielefelder Marienstifts. Das gelte auch dann, wenn Menschen, die Jahrzehnte lang zusammengewohnt hätten, plötzlich das Bedürfnis äußern würden, mehr Zeit und Raum für sich zu haben.

Das Marienstift etwa verfüge über sogenannte Tandembäder. Das bedeutet, dass zwei Bewohnerzimmer durch ein Badezimmer in der Mitte verbunden sind. Paare können dadurch selbst entscheiden, ob sie eins der Zimmer als Wohnraum und das andere als Schlafraum verwenden, oder ob jeder sein eigenes Schlafzimmer erhält. Auch das, so die Hausleiterin, könne schließlich dazu führen, dass eine Beziehung gefestigt wird.

 

Weitere Geschichten aus dem Johanneswerk finden Sie in der aktuellen Ausgabe des Journals.

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