Interview: Dr. Wiebke Pape erklärt, was Einsamkeit ist und was Betroffene dagegen tun können.

Wenn die Einsamkeit überhandnimmt

Ob Menschen sich alleine wohlfühlen, oder dann einsam sind und die Nähe anderer Menschen suchen, hängt von individuellen Bedürfnissen ab. (Fotos: Stefan Wemhöner)

Frau Dr. Pape, was genau ist Einsamkeit?

Dr. med. Wiebke Pape:
Einsamkeit ist ein Gefühl und hat nicht nur etwas mit der An- und Abwesenheit von anderen Menschen zu tun. Einsamkeit beschreibt oft das Gefühl nicht anerkannt, beachtet und gebraucht zu werden. Menschen fühlen sich einsam, wenn ihnen sozialer Anschluss und emotionale Bindung fehlen bzw. wenn ihre Kontakte nicht ihren Bedürfnissen entsprechen. Einsamkeit ist in der Regel unfreiwillig. Menschen mit belastenden frühen Bindungserfahrungen fühlen sich oft chronisch einsam. Einsamkeitsgefühle sind auch abhängig von der inneren Einstellung eines Menschen. In unserer Gesellschaft ist Einsamkeit mit einer großen Scham verbunden und gilt als unattraktiv. Wichtig ist aber, dass Einsamkeit alle Menschen treffen kann – ganz unabhängig von Alter oder Lebenssituation – und dass sich niemand für seine/ ihre Gefühle schämen muss.


Wie unterscheidet sich Einsamkeit von alleine sein?

Pape:
Alleine sein ist zunächst einmal eine Beschreibung ohne jede Bewertung. Es beschreibt den Zustand, in dem keine anderen Menschen anwesend sind. Bei dieser Zustandsbeschreibung wird keine Aussage darüber gemacht, wie es einem Menschen geht oder wie er sich fühlt. Viele Menschen suchen das Alleinsein zur Erholung, Meditation, Fokussierung oder um in Kontakt mit sich selbst zu kommen. Ob Menschen sich alleine wohlfühlen, hängt stark von den eigenen Bedürfnissen ab. 


Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie?

Pape:
Die Corona-Pandemie ist eine ungewohnte Situation für alle. Wir Menschen sind viel distanzierter zueinander geworden, meiden den Kontakt und die sonst selbstverständlichen Berührungen. Das kann sich auf ganz unterschiedliche Weise auswirken: Menschen, die sich schon vorher einsam gefühlt haben, können durch Corona einen Rückschlag erleiden und in alte Verhaltensmuster fallen. Kontaktfreudige Menschen fühlen sich z.B. durch die Corona-Maßnahmen bestraft. Es gibt aber auch Menschen, die sagen, dass sie schon ganz andere Krisen überstanden haben. Die Empfindungen können da ganz unterschiedlich sein. Es ist nur wichtig, dass die eigenen Gefühle in dieser Zeit nicht weggedrückt oder hinter einer Fassade versteckt werden, das verstärkt oft die Einsamkeit. Das gelingt vielleicht für einen kurzen Zeitraum, langfristig braucht es da aber andere Strategien.


Was kann ich aktiv gegen Einsamkeit tun?

Pape:
Viele Menschen, die unter Einsamkeit leiden, warten oft darauf, von anderen Menschen daraus ‚erlöst‘ zu werden. Sie können in eine passive Haltung verfallen und denken: ‚Warum meldet sich niemand? Warum sieht denn keiner, wie es mir geht‘? Es kann sich ein Teufelskreis entwickeln, der für viele nur schwer zu durchbrechen ist. Über die eigenen Gefühle und Empfindungen zu sprechen, ist aber z.B. ein erster Schritt, um aus dem Teufelskreis auszubrechen. Betroffene sollten dabei nicht alles auf einmal wollen und in kleinen Schritten anfangen. Es kann für viele eine Hilfe sein, so Kontakt mit anderen Menschen aufzunehmen, wie man es sich für sich selbst wünscht, also zu geben, was man selbst gerne haben möchte. Ein kleiner Plausch mit dem Nachbarn oder ein Gespräch mit der Bäckerin können ein guter Anfang sein. Das kann dabei helfen, kleine positive Kontakterlebnisse zu „sammeln“ und sich selbst als „wirksam“ zu erleben. Ich möchte gern dazu ermutigen, auch offen für professionelle Hilfe zu sein und sich Rat bei Experten zu suchen. Diese sind erstmal neutral, bewerten nicht und sind damit manchmal bessere Ansprechpartner als die eigene Familie.
Wichtig ist nur, dass Betroffene die eigenen Gefühle erkennen und eine aktive Haltung einnehmen. Einsamkeit ist mit hohem inneren Stress verbunden und kann langfristig zu weiteren Folgeerkrankungen wie etwa Depressionen oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen.

Wo finde ich Hilfe/ passende Angebote?

Pape: Gut und hilfreich sind erstmal möglichst niedrigschwellige Angebote wie Internetblogs, auf denen sich Betroffene austauschen können, Akutsprechstunden von Arztpraxen oder Angebote wie die Telefonseelsorge, die Nummer gegen Kummer, oder das Johanneswerk-Angebot ‚Telefongefährten‘. Dort treffen Betroffene auf erfahrene Gesprächspartner, die zuhören ohne zu bewerten. Außerdem kann je nach Wunsch auch die Anonymität gewahrt werden.

 


►► Sie fühlen sich einsam? Hier finden Sie Hilfe: 

  • Ist Ihre Seele durch Corona in Not geraten? Dann können Sie das Krisentelefon der Rhein-Klinik in Bad Honnef nutzen. Neben Einzelgesprächen wird auch der Kontakt zu anderen Betroffenen zu einem gemeinsamen Austausch vermittelt. 
    Telefon: 0224 185-148
  • Die Telefonseelsorge bietet Beistand – per Telefon und Chat.
    Telefon: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222
    www.telefonseelsorge.de 
  •  Die „Nummer gegen Kummer“ berät sowohl Kinder und Jugendliche als auch Eltern – am Telefon und online.
    Telefon für Kinder und Jugendliche: 0800 116 111,
    Telefon für Eltern: 0800 1110 550,
    www.nummergegenkummer.de

 

►► Alle Infos zum Angebot der Rhein-Klinik in Bad Honnef (Fachklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie) finden Sie unter diesem Link.

 

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