Amalie-Sieveking-Haus: Eine außergewöhnliche Liebesgeschichte

‚Happy End‘ nach 66 Jahren: Nicht gesucht und doch gefunden

66 lange Jahre hatten sich Getrud Howen und Karl Boiar aus den Augen verloren, war getrennt voneinander ihren Weg gegangen. Erst ein altes Foto und ein mutiges Telefongespräch brachten die beiden wieder zusammen. Foto: Johanneswerk/Ulla Emig

Die wuchsen in der gleichen Nachbarschaft auf und waren im selben Chor aktiv. Gertud und Karl in Jugendtagen. Foto: privat

GELSENKIRCHEN (JW). Liebe kennt kein Alter, keine Falten, keine Zeit. Das zeigt die außergewöhnliche Liebesgeschichte von Gertrud Howen und Karl Boiar. Die beiden sind seit sechs Jahren ein Paar, „gefunkt“ hat es zwischen ihnen aber schon im vergangenen Jahrhundert, mitten im zweiten Weltkrieg. Der aber riss die beginnende Liebe auseinander, für 66 lange Jahre. Bis Karl Boiar seinen Schatz Gertrud wiederfand, obwohl er gar nicht nach ihr gesucht hatte. Aber dazu später mehr.
 
Heute sitzt Gertrud Howen mit ihrem Karl Händchen haltend in ihrem gemütlichen Zimmer im Amalie-Sieveking-Haus in Gelsenkirchen. Seit einem Dreivierteljahr lebt die 88-Jährige in der Senioreneinrichtung, zwei bis drei Mal in der Woche kommt  Freund Karl (93) zu Besuch.  „Wir schauen uns dann Fotos von unseren Kindern und Enkeln an oder plaudern von den alten Zeiten“, erzählt Gertrud Howen.

Es begann in Kindertagen

Und zu erzählen gibt es genug. Schon als Kinder kannten sie sich, lebten in der gleichen Nachbarschaft, sangen im selben Chor. Auf einem alten Chorfoto aus dem Jahr 1941 sieht man sie schon nebeneinander sitzen. Das war wohl auch der Tag, so erinnern sich beide, als es anfing zu knistern. „Er war so anders als die anderen Jungs, so bedächtig, so freundlich und er sah so gut aus“, sagt Gertrud Howen immer noch schwärmend, während Karl Boiar etwas trockener hinzufügt: „Damals habe ich festgestellt, dass ich dieses Mädchen wohl gern haben kann“.

Doch die aufkeimende Liebe wird gestört, als Karl Boiar 1942 eingezogen wird. Er muss nach Russland. Als der junge Soldat im Oktober 1944 zu seinem letzten Heimaturlaub zurückkehrt, hat er einen festen Vorsatz. „Ich wollte Gertrud zum Abschied küssen und ihr meine Liebe erklären, bevor ich wieder in den Krieg ging“, erzählt der Senior. Doch schlimme Kriegsträume und Zukunftsängste halten den 20-Jährigen kurz davor jäh ab. „Ich darf sie nicht an mich binden, ich weiß ja gar nicht, ob ich jemals zurückkomme“, dachte er verzweifelt.
  
So verloren sich ihre Wege.  Als Karl Boiar 1947 aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Hause kam, war Gertrud Howen bereits mit einem anderen verlobt. Sie
heiratete und bekam Kinder. Auch Karl Boiar gründete eine Familie. 66 lange Jahre lebten sie jeder ihr eigenes Leben, in dem Enkel kamen und ihre Ehepartner starben.

Ein Foto weckte Erinnerungen

Bis zu jenem Tag im Januar 2011, als Karl Boiar eine alte Fotokiste von seinem Bruder bekam und darin zufällig auch ein altes Foto seiner Jugendliebe erblickte.  Das ließ ihm keine Ruhe. Über seine Schwester fand er den Ehenamen und die Telefonnummer von Gertrud Howen heraus. „Ich bin dann zwei Tage lang im Wohnzimmer auf und ab getigert und habe überlegt, ob ich sie anrufen soll.“  Er tat es.

Nach dem ersten vorsichtigen Telefonkontakt folgte das Wiedersehen. „Ich hatte mir fest vorgenommen, Gertrud direkt zur Begrüßung den Abschiedskuss von damals zu geben“. Das klappte nicht ganz. „Geküsst hat er mich erst bei der zweiten Tasse Kaffee“, erinnert sich Gertrud Howen lächelnd.

Seit mehr als sechs Jahren sind sie nun ein Paar, haben bis zu einer Erkrankung von Gertrud Howen viele  gemeinsame Reisen unternommen und Zeit miteinander verbracht. Karl Boiar hat ihre ungewöhnliche Liebesgeschichte sogar aufgeschrieben. Der Titel: „Nicht gesucht und doch gefunden“.

[Text: Ulla Emig]

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