Werkstatt in Schalksmühle bietet Menschen mit Autismus spezielle Arbeitsplätze
Ein Leben mit Autismus
Die Wände des Studjos am Standort Schalksmühle, einer Einrichtung des Evangelischen Johanneswerks, sind kahl: Keine Bilder und keine Farben zieren die Flure und Arbeitsbereiche. Das würde die 25 Beschäftigten der Werkstatt nur irritieren, denn sie haben eine Form von Autismus.
Doch was heißt es, mit einer Form von Autismus zu leben und wie finden sich die Menschen in der Berufswelt zurecht? Tage, wie der Welt-Autismustag (2. April) oder der Autistic Pride Day (18. Juni) sollen dem Wunsch der Menschen mit Autismus nach gesellschaftlicher Akzeptanz Ausdruck verleihen. Autismus wird als Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörung bezeichnet. Autisten haben oft Schwächen in sozialer Interaktion sowie Kommunikation und fallen durch stereotype Verhaltensweisen auf. Dafür haben sie eine extrem empfindliche Wahrnehmung und sind oft hochintelligente Menschen. Das merkt man auch den 25 Beschäftigten in Schalksmühle an.
Manchen Autisten fällt es schwer, sich den ganzen Tag auf die Arbeit zu konzentrieren. Andere wiederum wollen oder können nicht über die Sprache kommunizieren. Aber: In Schalksmühle haben genau diese besonderen Menschen einen Arbeitsplatz gefunden. Sie leben zwar alle in ihrer eigenen Welt, werden von den Mitarbeitenden aber genau dort abgeholt. „Das Spektrum von Autismus ist sehr breit – da muss man sich schon drauf einlassen“, weiß Gruppenleiterin Ellen Saßenscheidt, die seit der Eröffnung der Werkstatt im Jahr 2008 in Schalksmühle arbeitet.
"Keine Bastelbude"
Autismus zeigt sich bei jedem anders. Nicht jeder kann einen ‚normalen‘ Beruf ausüben oder gar alleine leben. Feste Strukturen sind für viele wichtig. „Die Beschäftigten kennen den Tagesablauf mittlerweile ganz genau – er hilft ihnen“, sagt Gruppenleiter Ron Hellmann. Der Tag in Schalksmühle startet immer mit einer Morgenrunde in den beiden Gruppen. Dort kann jeder erzählen, was ihn momentan bewegt und aus den arbeitsbegleitenden Angeboten wie Wandern, Kreativ-AG oder Spielen wählen. Um 8.30 Uhr geht es zur Arbeit in die beiden Montagebereiche. Für Auftraggeber aus der Region werden dann Steckdosen demontiert, Schrauben verpackt oder auch Kabelverbindungen montiert.
„Wir sind hier keine Bastelbude, was viele Leute vielleicht immer noch denken mögen. Alle Beschäftigten arbeiten an Aufträgen und die Teile müssen richtig montiert bei den Firmen ankommen“, sagt Kornelia Bach vom Sozialen Dienst. Hapert es mal in der Kommunikation untereinander, dann hilft ein Tablet. Mit der App ‚Metatalk‘ lassen sich Sätze zusammenbauen oder vorformulierte Sätze abspielen. „Das macht vieles einfacher. Manchmal malen wir aber auch Gespräche auf“, erklärt Ron Hellmann.
Besondere Talente
Autismus zeigt sich manchmal in Inselbegabungen: Bei Cem ist es das Zeichnen. In seinem Spind sowie in einer großen Kiste – auf der ‚Rettungskiste‘ und ‚Cem-Factory‘ steht – sammelt er seine Zeichnungen. Stolz präsentiert er sie mit dem Kommentar: „Ich habe einen Plan. Sie müssen alle gerettet werden.“ In den Pausen oder der Kreativ-AG packt er seine Fine Liner aus und zeichnet Digimons aus einer Fernsehserie nach. Innerhalb von zehn Minuten ziert dann ‚Switchiamon Mega‘ das vorher noch weiße Blatt. „An manchen Tagen malt Cem seine Bilder sogar mit beiden Händen gleichzeitig“, erzählt Gruppenleiter Ron Hellmann. Bei einem Werkstattfest hat Cem den Schulhof in ein riesiges Kunstwerk verwandelt. „Zuerst konnte man gar nicht erkennen, was es werden sollte. Doch am Ende machte alles Sinn und man sah ein riesiges Kreidebild“, erzählt Kornelia Bach. Genauso gehe Cem auch bei seinen Zeichnungen vor.
Auch Daniel hat ein besonderes Talent: Sowohl bei seiner Arbeit im Montagebereich als auch am Klavier ist der 26-jährige hochkonzentriert. Mit Leichtigkeit spielt er Stücke von Beethoven und Mozart, die eigens von seinem Klavierlehrer für Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf arrangiert wurden. Alles soll „schnell, schnell“ gehen, erzählt er. Dazu fordert ihn einmal in der Woche sein Klavierlehrer Roland Voit auf. Immer montags fahren ihn seine Eltern zum Klavierunterricht nach Hagen. Und auch Daniels Familie ist sehr musikalisch: „Papa spielt Trompete, Mama Klavier und die Geschwister Flöte und Posaune. An Weihnachten spielen wir alle zusammen“, erzählt der 26-Jährige.
Besonders wichtig bei der täglichen Arbeit mit Autisten „ist Fingerspitzengefühl und sehr viel Geduld“, betont Angela Duwe. Die Gruppenhelferin und auch alle anderen Mitarbeitenden sprechen ruhig und deutlich mit den Autisten. „Klare Ansagen sind unerlässlich“, sagt Kornelia Bach. Denn mit Fragen und Bitten komme man oft nicht weit. Dann müssten sich die Beschäftigten entscheiden und das falle vielen schwer. „Alle Mitarbeitenden hier zeichnet ein Höchstmaß an Sensibilität für die anderen Welten aus. Ohne Abstimmungen und den Zusammenhalt im Team geht sowas nicht.“